Berichte über weitere Fehldiagnosen

Vor ein paar Tagen konnte ich mal wieder nicht schlafen und schaltete den Fernseher ein. „Abenteuer Diagnose“ lief dort und es wurde über einen Mann berichtet, bei dem irrtümlich die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose gestellt und eine andere Diagnose gesichert wurde. Im August 2014 hatte ich bereits veröffentlicht, dass ich mittlerweile von drei Menschen weiß, bei denen nachweislich die FEHLDIAGNOSE Amyotrophe Lateralsklerose gestellt wurde. Nun weiß ich also mittlerweile von vier Menschen und bei meinem Dad mußte ich es am eigenen Leibe sehen und erleben.

Mich macht das langsam immer stutziger, denn wenn ich von VIER (!!!) Menschen gesichert weiß, dass eine Fehldiagnose gestellt wurde, wieviele Fehldiagnosen ALS gibt es denn dann in diesem Land noch?

Prof. Meyer von der ALS-Ambulanz der Charité schreibt auf seiner Internetseite, dass die Diagnose einer ALS mit „einfachen“ Mitteln zu stellen ist und nur bei einer kleineren Gruppe der Betroffenen die Diagnosestellung recht schwierig ist. Dort geht man von einer Fehldiagnose von 1-2 Patienten aus.

Ich will niemandem etwas unterstellen, aber wenn ich bereits von insgesamt vier Menschen erfahren habe, dass die Fehldiagnose ALS gestellt wurde, dann frage ich mich doch berechtigt, wie hoch die Dunkelziffer noch ist. Und ich frage mich, ob nicht ab und zu die Diagnose zu schnell gestellt wird ohne dass man weitere Ausschlussuntersuchungen (s. Diagnostik der ALS) gemacht hat. Wenn Menschen die Diagnose ALS erhalten haben und dann bei einem anderen Arzt Untersuchungen gemacht werden, die eine andere Diagnose sichern, dann hat meines Erachtens der erste Arzt die Diagnose leichtfertig gestellt.

Fehldiagnose Nr. 1 – Mein Vater Gerd Zimmermann – den gesamten Verlauf können Sie hier lesen: Fehldiagnose ALS

Wir haben sowohl durch das Exzellenzzentrum für Entzündungsmedizin der Stiftungsuniversität Lübeck als auch vom Universtitätsklinikum Eppendorf noch zu Lebzeiten meines Vaters die gesicherte Diagnose Dermatomyositis sine Dermatitis erhalten. Ebenso mussten wir aufgrund eines tödlichen Behandlungsfehlers nach seinem Tod eine Obduktion vornehmen lassen und haben dort auch untersuchen lassen, ob mein Vater ALS hatte. Er hatte KEIN ALS. Die ALS-Ambulanz der Charité hat somit gesichert eine Fehldiagnose gestellt.

Fehldiagnose Nr. 2 – Ich habe im Laufe der Jahre einige Menschen kennengelernt, die an ALS erkrankt sind und auffällig dabei ist, dass es bei vielen einen atypischen Verlauf der ALS gibt. Eine Frau mailte mir vor ca. zwei Jahren, dass auch ihr Mann fehldiagnostiziert wurde. Sie hatten aufgrund meines Blogs weitere Untersuchungen vornehmen lassen. Das hat mich sehr gefreut, dass meine Informationen wenigstens einem Menschen helfen konnten und ich bin froh, dass es diesem Mann heute wieder besser geht. Jede Fehldiagnose ALS ist eine Fehldiagnose zu viel.

Fehldiagnose Nr. 3 – Im Jahr 2011 sah ich einen Bericht im Fernsehen auf NDR “Abenteuer Diagnose” über einen Mann, bei dem die Fehldiagnose ALS gestellt wurde. Ich konnte über die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. Kontakt zu ihm aufnehmen und er und mein Vater haben mehrmals telefoniert. Die nun festgestellte Einschlusskörpermyositis des Mannes kann behandelt werden und er war heilfroh darüber dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein. Den Bericht kann man hier noch ansehen: Abenteuer Diagnose – Fehldiagnose ALS (Youtube)

Fehldiagnose Nr. 4 – Vor ein paar Tagen gab es erneut einen Bericht über eine Fehldiagnose

„Jetzt gibt es nur noch eine schlimme Vermutung: Roland B. könnte unter der tödlichen Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) leiden. In der ALS-Ambulanz der Berliner Charité wird er untersucht. Die spastische Lähmung des Beines, der Muskelschwund und der schleichende Verlauf lassen für den Spezialisten nur einen Schluss zu: Roland B. leidet unter ALS. Das heißt für Roland B: Er hat noch drei bis fünf Jahre zu leben. Alle zwei Monate wird nun in der ALS-Ambulanz unter anderem seine Muskelkraft gemessen. Merkwürdigerweise lässt die nicht so schnell nach wie befürchtet. Im Laufe der Zeit beschleichen Roland B. und seine Hausärztin Zweifel an der Diagnose ALS. Roland B. holt sich eine zweite Meinung ein – bei einer Tübinger Neurologin. Eine elektrophysiologische Untersuchung der Nerven zeigt keinen Hinweis für eine ALS

Auch in diesem Fall (wie bei uns) wurde also in der ALS-Ambulanz der Charité eine Fehldiagnose gestellt. Den Bericht kann man in der Mediathek des NDR noch ansehen. ABENTEUER DIAGNOSE

Herr Blankenburg, bei dem die Fehldiagnose gestellt wurde, sagt einen ganz entscheidenden Satz in dem Video bei 00:10:48.

„Wir müssen eine zweite Meinung einholen….aber wo sollen wir diese zweite Meinung her holen, wenn wir aus der Charité kommen?“

Genau vor diesem Problem standen wir auch. Wenn man mit der Diagnose ALS aus der ALS-Ambulanz der Charité kommt, ist es sehr schwer noch eine zweite neutrale Meinung zu erhalten. Und das ist mehr als traurig. Aber es ist wichtig und ich kann es jedem nur empfehlen dabei sehr hartnäckig auch auf die fakultative Diagnostik der Leitlinie für ALS zu bestehen.

Was ich auch sehr bezeichnend finde, ist, dass Herr Prof. Meyer von der ALS-Ambulanz in dem Video (00:07:08) sagt:

„Patienten wären noch schwerer betroffen, wenn sie in Unsicherheit gelassen werden und deswegen haben wir ganz bewusst uns dazu entschieden, Diagnosen….wenn sie im Raum stehen – und die stand bei ihm im Raum… auch frühzeitig zu benennen. „

Ich bin zutiefst erschüttert und erschrocken über diese Aussage, gerade auch weil sie von jemandem kommt, der die Fehldiagnose bei meinem Vater gestellt hat. ALS ist ein Todesurteil. Jemandem ein Todesurteil und so eine schlimme Diagnose um die Ohren zu hauen, wenn das gar nicht zu 100% sicher ist, ist meiner Meinung nach zutiefst verabscheungswürdig. Das kann man doch nicht einfach pauschal so handhaben. Jeder Mensch ist ein Individuum und geht anders damit um. Und vor allem ist es so schlimm, weil es eben auch eine Fehldiagnose sein kann. ALS steht immerhin schnell im Raum, aber muss dann durch Ausschluss anderer Erkrankungen gesichert werden.

Bei 00:12:40 des Videos sagt die Ärztin, dass es spätestens nach dem dreijährigen Verlauf bei Herrn B. messbare Zeichen einer ALS hätte geben müssen. Das hätte man doch in der ALS-Ambulanz dann auch feststellen können oder zumindest mit der gleichen Untersuchung der neuen Klinik herausfinden können, dass eine ALS ausgeschlossen ist. Warum nicht? Bei meinem Vater hat man die Diagnose einfach sieben Jahre im Raum stehen lassen und auf weitere Untersuchungen verzichtet bzw. verhindert. Man bekommt nicht einfach weiterführende Untersuchungen, wenn jemand wie Prof. Meyer als „Experte“ sagt, dass sie nicht notwendig sind.

Wir als Familie mussten am eigenen Leib erfahren, wie schlimm das ist und wie arrogant Herr Prof. Meyer uns entgegen getreten ist (haben wir alles schriftlich und können es beweisen), weil wir förmlich gebettelt haben, er möchte seine Diagnose noch einmal überprüfen und zumindest eine Muskelbiopsie veranlassen. Das hat er nicht gemacht. Dieser neue Fall über eine Fehldiagnose von ihm und seine Aussagen in dem Video tun ungeheuer weh. Wenn man meinen Vater schon damals in 2007 richtig diagnostiziert hätte, hätte er noch ein schönes Leben führen können und würde heute noch leben.

Ich frage mich manchmal, ob möglichst viele Diagnostizierte nicht auch mehr Forschungsgelder bringen und man sich damit dann gut profilieren kann? Keine Ahnung, möglich wäre das, aber es ist eben nur so (m)ein Gedanke, meine Meinung, keine Unterstellung. Möge jeder sich selbst seine Gedanken dazu machen. Für wirklich an ALS erkrankte ist die Ambulanz mit Sicherheit auch eine sehr wichtige Anlaufstelle, aber bei uns war es leider einer der größten Fehler unseres Lebens dorthin gefahren zu sein.

Ich würde mich freuen unter den Kommentaren oder per Mail auch Ihre Erfahrungen zu lesen. Wenn auch Sie eine Fehldiagnose erhalten haben, wäre ich sehr interessiert an Ihrer Geschichte und würde sie gern (auf Wunsch auch anonymisiert) mit hier veröffentlichen. Denn je mehr Informationen man hat desto weniger Fehldiagnosen passieren.

Diagnostik ALS